Der Magier, oft als Karte I der Großen Arkana bezeichnet, ist eine der machtvollsten und vielschichtigsten Karten des Tarots. Er steht für das bewusste Gestalten der Realität, die Beherrschung der Elemente und den Zugang zu höherem Wissen.
Im klassischen Rider-Waite-Smith-Tarot sehen wir den Magier als eine aufrechte Gestalt, gekleidet in ein weißes Gewand (Reinheit) mit einem roten Mantel (Leidenschaft und Handlung). Über seinem Kopf schwebt das Lemniskaten-Symbol (∞), ein Zeichen für unendliche Möglichkeiten und spirituelle Meisterschaft. Seine rechte Hand zeigt mit einem Stab gen Himmel, während seine linke Hand zur Erde weist – eine Anspielung auf das hermetische Prinzip "Wie oben, so unten". Vor ihm liegt ein Tisch mit den vier magischen Werkzeugen: Kelch, Schwert, Stab und Münze – die Symbole der vier Elemente und der vier Farben des Tarot.
Im Tarot de Marseille wird der Magier (Le Bateleur) oft mit einem Spieltisch dargestellt, auf dem verschiedene Gegenstände liegen. Seine Darstellung erinnert an einen Jahrmarktszauberer oder Alchemisten, der mit Tricks und Geschick die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Diese Darstellung betont seine Fähigkeit, Illusion und Realität zu verknüpfen.
Das Crowley-Thoth-Tarot nennt diese Karte "Der Magus" und zeigt ihn in einer dynamischen Pose, umgeben von magischen Symbolen wie Merkur, der Schlange und verschiedenen alchemistischen Zeichen. Hier wird der Magier nicht nur als Manifestator, sondern als kosmischer Vermittler dargestellt.
Obwohl der Magier in allen Tarot-Systemen das Prinzip des bewussten Erschaffens und der Kontrolle über die Realität symbolisiert, gibt es bemerkenswerte Unterschiede in den Interpretationen:
Klassische Decks (Rider-Waite-Smith, Tarot de Marseille):
Okkultistische Decks (Thoth, Golden Dawn Tarot):
Moderne und künstlerische Decks:
Der Magier verkörpert das Prinzip des bewussten Willens (Thelema), des kreativen Schaffens und der Manipulation der Elemente. Seine Fähigkeit, die Welt zu gestalten, spiegelt sich in seiner Position zwischen Himmel und Erde wider. Er ist der archetypische Vermittler, ein Hermes-Merkur-Charakter, der Botschaften zwischen den Ebenen transportiert.
Der Magier entspricht dem bewussten Selbst, dem "Ich", das seine Umwelt beeinflusst. In der Tiefenpsychologie nach Jung könnte er als Ausdruck des "Persona"-Archetyps gesehen werden – die Maske, die wir der Welt zeigen, aber auch die bewusste Kontrolle über unser eigenes Schicksal.
Der Magier ist eng mit dem Merkur-Prinzip verbunden. Merkur ist der Gott der Kommunikation, des Handels und der Alchemie. In der Kabbala wird er mit dem Pfad zwischen Kether und Binah assoziiert, was ihn zum ersten "aktiven" Prinzip in der Schöpfung macht. In der Alchemie entspricht er dem Solve et Coagula – dem Auflösen und Neuschaffen von Materie.
Erscheint der Magier in einer Tarotlegung, deutet er auf Bewusstsein, Willensstärke und die Fähigkeit zur Manifestation hin. Er fordert den Fragenden auf, seine Fähigkeiten bewusst einzusetzen und die Kontrolle über sein Leben zu übernehmen.
Aleister Crowley schuf in seinem Liber Thoth drei verschiedene Darstellungen des Magus, was auf die Vielschichtigkeit dieser Karte hinweist:
Crowley erkannte, dass der Magier nicht auf eine einzige Form festgelegt werden kann, da er eine wandelbare Kraft ist, die sich je nach Bewusstseinsebene unterschiedlich manifestiert. In der Praxis steht die Wahl zwischen den drei Magus-Darstellungen für die unterschiedlichen Stufen der spirituellen Entwicklung des Fragenden.
Der Magier ist weit mehr als nur ein einfacher Zauberer oder Trickster. Er ist der Schöpfer seiner eigenen Realität, ein Alchemist des Geistes und ein Symbol für das bewusste Handeln. In den verschiedenen Tarot-Decks zeigt er sich in unterschiedlichsten Facetten, doch immer als die Kraft, die durch Wissen und Willen die Welt formt. Die drei Magus-Darstellungen im Thoth-Tarot verdeutlichen die verschiedenen Stufen der Meisterschaft: vom geschickten Manipulator bis zum transzendenten Schöpfer.
Wer den Magier versteht, begreift, dass alle Möglichkeiten in seiner eigenen Hand liegen – und dass Wissen, verbunden mit klarem Willen, den Lauf des Schicksals lenken kann.