Traum 1: Lost Places
Februar 28, 2025 - Lesezeit: 9 Minuten
Ich befinde mich in einem weitläufigen Schulgebäude, das mir vertraut erscheint, aber irgendwie verändert ist. Die Gänge sind länger, die Räume größer, und ich habe das Gefühl, dass ich mich verlaufen könnte. In der Hand halte ich einen Stapel Klassenarbeiten, aber die Seiten sind leer oder mit unverständlichen Zeichen beschrieben. Plötzlich bemerke ich, dass eine Prüfung begonnen hat – doch ich habe weder Aufgabenblätter noch Stifte für die Schüler vorbereitet. Panik steigt in mir auf. Ich will in das Lehrerzimmer laufen, um Hilfe zu holen, aber die Tür lässt sich nicht öffnen. Ich spüre, dass die Zeit drängt, doch meine Beine sind schwer, fast wie gelähmt. Dann ändert sich die Szenerie: Ich stehe auf einer großen Bühne, das Publikum besteht aus meinen Schülern, Kollegen und meiner Familie. Ich soll etwas vortragen, weiß aber nicht, was. Die Worte fehlen mir, meine Stimme versagt. Ich sehe in die Gesichter meiner Kinder, die mich anlächeln, aber zugleich wirken sie fremd und distanziert. Plötzlich öffnet sich eine Tür im Bühnenhintergrund, und ich trete hindurch. Dahinter liegt ein stiller Garten, voller alter Bäume. Eine Bank steht dort, auf der eine ältere Frau sitzt – sie sieht aus wie meine verstorbene Großmutter. Sie lächelt mich an, und auf einmal fällt alle Anspannung von mir ab. Ich wache mit einem Gefühl der Erleichterung, aber auch der Unsicherheit auf.
Deutung:
Die langen, vertrauten und doch fremden Gänge der Schule – sie sind nicht nur Mauern, sie sind ein Labyrinth, das sich unter deinen Füßen verschiebt. Was einst klar war, ist nun verändert, dehnt sich aus, als ob die Grenzen deiner gewohnten Welt ins Ungewisse fließen. Du hältst die Klassenarbeiten in der Hand, doch sie sind leer, gefüllt mit Zeichen, die sich dem Verstehen entziehen. Was sollst du bewerten, wenn es keine Worte gibt? Was sollst du lehren, wenn die Bedeutung sich verflüchtigt?
Und dann die Prüfung – ein Moment der Verantwortung, der Erwartung. Aber du bist nicht vorbereitet. Kein Material, keine Stifte, kein sicherer Boden. Die Panik steigt, die Zeit drängt, doch der Zugang zur Hilfe bleibt verschlossen. Die Tür des Lehrerzimmers, einst ein Ort der Lösungen, bleibt unnachgiebig. Und deine Beine – schwer wie in einem Traum, in dem der eigene Wille gegen eine unsichtbare Macht ankämpft. Es ist das Gefühl, den Anforderungen nicht gerecht zu werden, nicht handeln zu können, obwohl es nötig wäre.
Und plötzlich verändert sich alles. Die Bühne – weit, erhellt, aber gnadenlos. Alle Augen sind auf dich gerichtet. Kollegen, Schüler, Familie – sie erwarten etwas, aber du weißt nicht was. Keine Worte, keine Stimme. Eine Angst, die tiefer geht als die Schulprüfung – es ist die Angst vor der Sichtbarkeit, vor dem Urteil, vor dem Versagen. Und dann die Gesichter deiner Kinder, vertraut und doch fremd. Ein Schmerz liegt in dieser Distanz, eine Frage, die ungestellt bleibt.
Doch da ist eine Tür, eine Möglichkeit zum Rückzug. Du trittst hindurch und findest dich in einem anderen Raum der Zeit, jenseits von Erwartungen und Prüfungen. Der Garten – still, geschützt, voller alter Bäume, als trügen sie die Weisheit vergangener Jahre in sich. Und dort sitzt sie – deine Großmutter. Ihre Präsenz allein genügt, um die Anspannung aufzulösen. Sie spricht nicht, doch ihr Lächeln sagt alles. In diesem Moment bist du nicht Lehrer, nicht Vorbild, nicht jemand, der etwas leisten muss. Du bist einfach da – und das reicht.
Du erwachst mit Erleichterung, aber auch mit Unsicherheit. Denn die Frage bleibt: Wofür stehst du auf der Bühne deines Lebens? Was erwartest du von dir – und was erwartet das Leben von dir? Vielleicht war es kein Versagen, das du gefürchtet hast, sondern der Wunsch, aus der Rolle auszubrechen. Und vielleicht liegt die Antwort nicht in den leeren Seiten oder den Prüfungen – sondern auf einer alten Bank, in der stillen Gegenwart dessen, was bleibt, wenn alles andere vergeht.
Fazit: